Auszeichnungen
Inthega-Sonderpreis an die Schauspielerin Gilla Cremer für ihr beeindruckendes Gesamtwerk, 19.10.2015
2008 Rolf-Mares-Sonderpreis
Laudatio von Ludwig von Otting – Thalia Theater Hamburg
Den Sonderpreis der Jury erhält also Gilla Cremer. Wie ich bei meinen Recherchen für diese Laudatio festgestellt habe, geht es hier aber nicht nur darum, darzutun, daß Gilla Cremer die richtige und beste Wahl war, die die Jury treffen konnte, sondern erst einmal um die Frage, ob dieser Preis auch der richtige Preis für die Preisträgerin ist.
Das oskar-verleihungs-geschulte Auge des kundigen Zuschauers scheint manche unter Ihnen zu der Annahme verleitet zu haben, daß es sich hier um eine Art Ehrenpreis für das Lebenswerk von Künstlern handelt, an denen alle Preise lebenslang vorbeigelaufen sind und die man kurz vor ihrem Ableben noch einmal auf die Bühne zerrt, um sich selbst im Glanz der Fast-Verblichenen ein wenig sonnen zu können.
Nein, Gilla, so ist das hier nicht gemeint. Der Preis soll Dir nicht das Gefühl geben, jetzt mit der Arbeit aufhören zu können, sondern vielmehr Ansporn und auch ein bisschen materielle Unterstützung dafür sein, weiter zu machen.
An einem anderen Missverständnis sind wir, die wir diesen Preis erfunden haben, selbst schuld, hat doch einer von uns – ich war’s nicht – auf der Webseite den schönen Satz untergebracht, der Sonderpreis werde gerade auch solchen Personen verliehen, die sich abseits des Rampenlichtes um das Theater verdient gemacht hätten. So kann mit einem gut und ehrlich gemeinten Preis der Preisträgerin erst mal einen ordentlichen Schock versetzen. Ja, Gilla, ich kann schon verstehen, daß Du Dich gefragt hast, ob du den Preis etwa dafür bekommst, daß Du Deine Bühnenbilder selbst entwirfst, Deine Requisiten selbst bastelst und notfalls sogar die Eintrittskarten zu Deinen Veranstaltungen persönlich abreißt.
Die Antwort ist wiederum Nein – selbstverständlich nicht.
Auch, wenn Du natürlich in aller erster Linie eine Schauspielerin bist, die man manchmal auch ganz konventionell zum Beispiel in Tatorten im Fernsehen oder in einem Boulevardstück im Thaliatheater entdecken kann, liegt der Reiz deiner großartigen Soloabende im Zusammentreffen sehr unterschiedlicher künstlerischer Elemente, die sich aus ganz verschiedenen Quellen speisen.
Ich erinnere mich gut, wie ich das erste Mal einen Deiner Abende gesehen habe, DIE KOMMANDEUSE in der alten Kampnagelfabrik. Ich gestehe, daß ich da ohne große Lust und mit mulmigem Gefühl hingegangen bin, weil ich erstens Angst vor dem Thema hatte und ich mir zweitens alles andere als einen vergnüglichen Abend versprach von der mehrstündigen Solo-Darbietung einer kämpferischen jungen Frau, die ich bis dahin nur als messerscharfe Analytikerin und hellwache Diskutantin im Gründungsforum für die Kampnagel-GmbH wahrgenommen hatte, wo sie quasi als Funktionärin der freien Theaterszene auftrat.
Ich erinnere mich gut meiner an Verstörung grenzende Überraschung, als ich – in der KOMMANDEUSE/DIE HEXE VON BUCHENWALD – mit diesem seltsamen Gemisch konfrontiert wurde aus Tanztheater-Elementen, Rezitation, aus distanziertem Bericht von beinahe essayistischer Schärfe und identifikatorischer schauspielerischer Anverwandlung, wie eine sie bei Grotowski oder Lee Strassberg oder Tabori – um einige von Gillas Theatergöttern zu nennen – nicht besser hätte lernen können. Daraus ergab sich eine – für mich komplett neue, jedenfalls ganz ungewöhnliche Darbietungsform, die, was die dargebotenen Inhalte anbelangt, gleichermaßen den analytischen Verstand und das mitfühlende Herz ansprechen, etwas in dieser Form Einmaliges, ein UNIKAT eben. Ich erinnere mich auch gut, wie ich – wie viele andere Zuschauer übrigens auch – völlig verheult aus der Veranstaltung gegangen bin und einige schlaflose Nächte danach hatte.
Dieses Erlebnis wiederholte sich danach mehrere Male. Bei VATER HAT LAGER, wo das Thema der KOMMANDEUSE noch einmal aus der Perspektive der Tochter eines Überlebenden aufgegriffen wird. Etwas subtiler auch bei M.E.D.E.A, etwas verrätselter und um autobiografische Elemente bereichert bei MORRISON HOTEL, und wieder mit unverminderter Härte bei MEERESRAND. Nach der Meeresrand-Premiere, während der eine Frau, die neben mir saß, einen Nervenzusammenbruch erlitt, frug ich Gilla, ob sie vielleicht auch einmal etwas produzieren könnte, was einen nicht wochenlang in seinen Albträumen verfolgen würde. Ich habe nicht wenig der Frage nachgegrübelt, warum sich eine fröhliche, lebenszugewandte, selbstbewusste, auf leuchtende Art emanzipierte Frau auf der Bühne (scheinbar) immer nur mit den fürchterlichsten Abgründen von Kindesmord, Selbstmord und Massenmord beschäftigt.
Die Antwort erhält man –glaube ich – nur mit Blick auf die Ergebnisse dieser Beschäftigung: Jeder auch gerade der bedrückenden und schonungslosen Arbeiten von Gilla Cremer hat auch wegen seiner schmerzhaften Qualitäten eine hohe theatralische und eine gesellschaftspolitische Relevanz. Jede dieser Arbeiten ist ein künstlerisch formulierter Aufschrei gegen Verdrängung, Vertuschung und Lüge in unserer Gesellschaft – gut erkennbar ist das auch am jüngst aufgeführten MOBBING. Im Übrigen gehören viele dieser Abende zum Fundus meiner persönlichen großen und unvergesslichen Theatererlebnisse. Nun – man wird mir hoffentlich gerade auf der Bühne dieses Theaters nicht das Geständnis verübeln, daß ich mich im Theater auch mal ganz gerne amüsiere.
Und siehe da, als ich wieder einmal unzureichend vorbereitet in eines ihrer Stücke ging, voller Sorge wegen der kommenden schlaflosen Nächte, erlebte ich sie – in der ODYSSEE EMBRYONALE – als souveräne Komikerin, die mit jedem guten Kabarettisten mithalten kann.( Den Begriff des Comedian wende ich ganz bewusst nicht an, denn natürlich greift auch dieser Abend Themen von großer sozialer Relevanz auf und blödelt nicht einfach sinnlos herum.)
Diesem komischen Talent begegnet man auch in der KNEF – wo Gilla übrigens auch die einzige Fähigkeit vorführt, die wir bis dato noch nicht an ihr bewundern durften, nämlich professionell zu singen, oder auch beim KIND IN DER POLENTA, wo der komische Part allerdings weitgehend an Gillas Jack-Russell-Terrier GIPSY delegiert ist, der vom Preisgeld dafür hoffentlich einen schönen Knochen bekommt.
Mit der Erwähnung von Gipsy streife und erledige ich zugleich das Thema MÄNNER AN IHRER SEITE, weil hier leider nicht genug Zeit zur Verfügung steht, um dieses interessante Kapitel angemessen zu würdigen.
Liebe Gilla, ich hoffe, durch meine bisherigen Ausführungen ausreichend legitimiert zu sein, um auch das jetzt zu sagen: natürlich mischt sich in meine Hochachtung deiner Kunst eine Atem raubende Bewunderung über die scheinbare Leichtigkeit, mit der so ein Abend handwerklich daher kommt. Erst recherchierst du – Monate, manchmal auch Jahre lang. Dann werden Texte bearbeitet und neue Texte geschrieben, dann lernst du eben mal 160 Seiten Prosa auswendig, entwickelst nebenbei ein Bühnenbild, entwirfst Kostüme, bastelst – in der Tat – deine eigenen Requisiten, kümmerst dich um Finanzierungen, kämpfst um Spielorte, und schaffst schließlich noch – mit Hilfe deines höchst eindrucksvollen Internet-Privat-Marketings – die Zuschauer selber ran, wenn es denn sein muß.
Was hätte aus dir nicht alles werden können: Theaterdirektorin – Dramaturgin – Bühnenbildnerin – Autorin – Requisiteurin – Marketing-Fachfrau – Hundedompteurin – Sängerin – Tänzerin – Schauspielerin.
Und was ist aus dir geworden? Eben all das, und zwar nicht von jedem nur ein bisschen, sondern – vielleicht mit Ausnahme der Hundedomteurin – alles mit der größten Hingabe, mit Herzblut, zu hundert Prozent. Dafür lieben wir dich. Dafür kriegst du den Preis. Vielen Dank
19. Oktober 2008
2015 Inthega-Sonderpreis
Laudation von Dorothee Starke – Theater Hameln
Den Sonderpreis des INTHEGA-Vorstands erhält die Schauspielerin, Sängerin, Autorin und Regisseurin Gilla Cremer, die seit 1987 mit ihren Solo-Produktionen erfolgreich im In- und Ausland auf Tournee geht.
In der Begründung heißt es :
Gilla Cremer greift mit Mut und Feingefühl Themen auf, die relevant sind und die die deutsche Gegenwart manchmal schmerzlich berühren. In ihren sozialkritischen Stücken stellt sie immer wieder starke, widersprüchliche Frauenfiguren in den Mittelpunkt. Ihre Produktionen leben von der Ausstrahlung und Bühnenpräsenz Gilla Cremers, der sich die Zuschauer nicht entziehen können.
Mit ihrem beeindruckenden Gesamtwerk prägt sie seit fast dreißig Jahren die Theaterlandschaft im gesamten deutschsprachigen Raum. Gilla Cremer lebt und liebt ihren Beruf – und das spürt das Publikum.
Es gibt Schauspieler und Schauspielerinnen mit umfassenden Bühnenanweisungen und zahlreichen Sonderwünschen besonders was das Catering, Wünsche, die uns in der Provinz schon mal vor eine Herausforderung stellen – Sie alle kennen das. Sie reisen in der Regel mit einem größeren Stab an Personal an und kümmern sich nicht um lästige Dinge wie Bühnenaufbau oder Soundcheck. Manchmal erfüllen sie dann auf der Bühne nicht die Erwartungen, die diese extravaganten Präliminarien geweckt haben.
Und dann gibt es Schauspielerinnen und Schauspieler, die kommen allein Stunden vor der Vorstellung an, richten ihr Bühnenbild, besprechen in Ruhe und in aller Professionalität mit den Kollegen von der Technik Licht und Ton und sind bis kurz vor dem Auftritt damit beschäftigt, den Abend optimal vorzubereiten. Und dann stehen diese Künstler auf der Bühne mit eine Präsenz und Konzentration, dass man ihnen ewig zusehen möchte! Der grandiose Otto Sander war so einer, wenn er mit seinen Balladenabenden unterwegs war.
Und Gilla Cremer ist so eine. Mit einer bewundernswerten Genauigkeit und Ehrfurcht vor ihrem Beruf.
Die erste Produktion, die ich von Gilla Cremer gesehen und gebucht habe, war im Jahr 1998 „Die Kommandeuse“. Das ist über 17 Jahre her. Und es ist kaum zu glauben, dass nicht nur diese Produktion nichts an Frische eingebüßt hat, sondern anscheinend auch an der Person Gilla Cremer die Zeit spurlos vorüber geht.
Im Jahr 1987 gründete sie ihre Theater Unikate. Es ist ungewöhnlich, vielleicht sogar einmalig, dass hier Produktionen über einen Zeitraum von teilweise 20 Jahren angeboten werden und diese nicht nur künstlerisch noch immer funktionieren, sondern dass es Gilla Cremer auch schafft Themen zu finden, die uns noch nach vielen Jahren interessieren und noch immer aktuell sind. Dabei sollten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht etwa von der kleinen Besetzung – in der Regel Gilla Cremer allein oder auch mal wie bei „Mobbing“ gemeinsam mit einem Musiker – irritieren lassen. Die Produktionen brauchen Raum und bestehen ohne weiteres auf großen Bühnen. Ich habe bisher keinen Zuschauer gehört, der etwas vermißt hätte.
Die Hamburger Morgenpost schrieb nach der Premiere von „Mobbing“:“ Es gibt sie ganz selten, diese besonderen Theaterabende, nach denen man als Zuschauer einfach nur glücklich ist, dabei gewesen zu sein. In den Kammerspielen gab es jetzt so einen Abend – mit einer Gilla Cremer zum Niederknien.“
Der Begriff „Unikate“ für ihren Tourneetheaterbetrieb ist sorgsam gewählt – wie nicht anders zu erwarten. Unikate bezeichnet die Einzigartigkeit eines Objektes, handgefertigte Werke der Kunst. Wikipedia schreibt dazu: „Der Begriff Unikat wird nicht inflationär verwendet und betont gegenüber einer Massenware die Besonderheit und den gesteigerten Wert.“ Das trifft es sehr genau!
Liebe Gilla,
vor wenigen Tagen hast Du „Die Dinge meiner Eltern“ im Stadttheater Bremerhaven gespielt. Dem von mir sehr geschätzten Schauspielerkollegen Martin Kemner hatte ich empfohlen, sich diese sehr beeindruckende Vorstellung anzusehen. Es schrieb mir danach nur einen Satz: „Gilla Cremer war ein Hit.“
Dem ist nichts hinzuzufügen!
Grußwort – Senator Dr. Brosda
Sehr geehrte Frau Cremer, sehr geehrte Frau Starke, meine sehr verehrten Damen und Herren,
„Halbzeit“ – so ist diese Festveranstaltung überschrieben. Trefflicher könnte eine Jubiläumsveranstaltung für eine großartige Theatermacherin, der offenbar nie die Puste ausgeht, nicht heißen.
Seit 30 Jahren produzieren Sie, liebe Gilla Cremer, nun unter dem Label „Theater Unikate“ Soloproduktionen – insgesamt 14 Stück an der Zahl, wenn ich mich nicht verzählt habe. 1987 ging es los. Seitdem touren Sie als freischaffende Produzentin, Autorin und nicht zuletzt Schauspielerin, mit Ihren Solostücken durch das In- und Ausland. Sie gastierten sogar schon in Neuseeland und in Taiwan, denn Sie spielen
Ihre (meisten) Produktionen auch ganz selbstverständlich auf Englisch.
2008 erhielten Sie den „Rolf Mares-Sonderpreis für langjährige und außergewöhnliche Leistungen im Rahmen des Hamburger Theaterlebens“ (Laudator damals: Ludwig van Otting). Sie seien „Theaterdirektorin, Dramaturgin, Bühnenbildnerin, Autorin, Requisiteurin, Marketing-Frau, Hundedompteurin, Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin“ sagte der damalige Laudator und ehemalige kaufmännische Direktor des Thalia Theaters, Ludwig von Otting, in seiner Laudatio voller Bewunderung.
2015 folgte dann der „INTHEGA-Sonderpreis für ein beeindruckendes Gesamtwerk“
(Laudatorin war damals wie heute: Dorothee Starke).
Ihre damalige Laudatorin Dorothee Starke rühmte Ihre Präsenz, Ihre Professionalität und die scheinbare Alterslosigkeit Ihrer Stücke, die an Aktualität über viele Jahre nichts einbüßen, so dass Sie die meisten noch im Repertoire haben und immer wieder spielen.
Wer kann das schon von sich sagen. Außer vielleicht John Neumeier . . . aber er feiert heute Abend am Bolschoi in Moskau Premiere mit „Anna Karenina“. Neben der Theaterbühne sind Sie auch immer wieder in Gastrollen in Film und Fernsehen zu erleben (zum Beispiel im „Tatort“).
Wer regelmäßig und auf eigene Faust auf der Bühne steht und Theater macht, weiß auch, dass es dafür Geld braucht – und das fließt leider auch von unserer Behörde nicht so leicht, wie ich es mir wünschen würde . . . (Seit 2001 – soweit reichen die vorhandenen Akten zurück – wurden fünf Produktionen mit insges. knapp 100.000 Euro gefördert: Medea, Meeresrand, Warum das Kind in der Polenta kocht, Mobbing, Die Dinge meiner Eltern).
Und doch lassen Sie sich immer wieder auf dieses Wagnis ein: Wie in alten Unterlagen zu lesen war, waren Sie in der Spielzeit 2001/2002 als Gast am Thalia Theater in dem Stück „Damen der Gesellschaft“ – dazu haben sie aber in einem Brief
an die Behörde als Zusatz vermerkt „ich bin und bleibe lieber „Frau der Freien Szene“!
2003 schrieben Sie dann in einem Sachbericht zu einer geförderten Produktion.
„Abschließend möchte ich mich im Namen aller Beteiligten für die Unterstützung der Kulturbehörde bedanken und glaube – nach der Resonanz urteilend – sagen zu dürfen: Es lohnt sich, Freies Theater zu unterstützen!“ Da stimme ich Ihnen gern zu – und ganz besonders bei Theater Unikate!
Ich frage mich in solchen Momenten aber immer wieder, ob die so gelobten Künstlerinnen und Künstler eigentlich die Konsequenzen der Entscheidung, frei zu arbeiten, mit all ihren Risiken und bisweilen lästigen Aufgaben, wie der Mittelakquise, neben der Kunst ganz am Anfang so klar gesehen haben . . .
Sie folgen jedenfalls Ihrer Berufung, dem Theatermachen und dem Theaterspielen,
mit einer so unvergleichlichen Hingabe, Sorgfalt und Professionalität, wie man sie nur selten findet. Das lässt mich glauben, dass Sie trotz aller Hindernisse und Erschwernisse, die es dabei manchmal zu bewältigen gibt, seit nunmehr 30 Jahren ungebrochen voller Leidenschaft und Freude für diesen Beruf sind.
Das ist in Ihren Stücken zu spüren. Ausdrucksstark, nuanciert mit psychologischen Gespür, mit analytischer Schärfe, verstörend, atemberaubend, humorvoll, schonungslos, hinreißend, virtuos – das sind die Beschreibungen, die man findet, wenn man über Sie liest oder mit anderen Menschen über Ihre Stücke spricht. Kritiker und Publikum sind stets überwältigt von Ihren „unerhört intensiven und raren Solodarbietungen“ (taz).
Das liegt zum einen natürlich an Ihrer herausragenden Schauspielkunst.
Es liegt aber zum zweiten auch daran, dass Sie es wagen, Ihrem Publikum etwas zuzumuten. Und das ist eine besonders Mut machende Botschaft. Ihre Themen sind oft schwierig, manchmal erschreckend. Es geht in Ihren Stücken zum Beispiel um Ausländerhass („Einmal lebt ich“) oder um Kindsmord („Meeresrand“), um Mobbing
(„Mobbing“) oder um die grausame Unmenschlichkeit im Nationalsozialismus („Die Kommandeuse“, „Vater hat Lager“).
Es gelingt Ihnen dabei stets, nicht bloß plakativ moralisch zu werden, sondern den Zuschauer auf eine bestechend eindringliche Reise ins Innere der Geschichte mitzunehmen. Immer wieder das Woher zu klären, und das Wohin zu bestimmen.
Liebe Gilla Cremer, Sie machen politisches Theater im allerbesten Sinne.
Aber natürlich können Sie auch anders. Wir haben Sie auch schon in humorvollen, zarten oder poetischen Inszenierungen gesehen, wie zum Beispiel in der Produktion „So oder so“, in der Sie Hildegard Knef verkörpern. Oder in Ihrer Erinnerungsreise in „Die Dinge meiner Eltern“ oder in der saftigen Satire über die Gen- und Fortpflanzungstechnologie „Odysee Embryonale“.
Auch hier, in diesen Stücken, wählen Sie Ihre Themen mit Sorgfalt. Ihre Komödien verhandeln stets wichtige und brisante Themen und gleiten niemals in die Banalität ab.
Dafür dass Ihnen dies gelingt, liebe Gilla Cremer, gebührt Ihnen ein großer Dank von uns, Ihrem Publikum.
Liebe Gilla Cremer, Sie haben eine ganz besondere Beziehung zu Hamburg.
Zum einen natürlich, weil Sie hier wohnen und arbeiten, hier Ihre Anträge einreichen, die glücklicherweise teilweise auch gefördert wurden, und hier in Hamburg – was uns freut – auch Ihre Jubiläen feiern.
So zum Beispiel 2013 im Foyer des damaligen „Abendbatt-Centers“ in der Fuhlentwiete.
Der Springer-Verlag hat damals – und wenn ich richtig informiert bin zum ersten und einzigen Mal und nur für Sie – sein Foyer in ein zugegebenermaßen provisorisches Theater umgebaut. Meine Vorvorgängerin, Prof. Dr. Karin von Welck, war zugegen und hat Ihr Schaffen gewürdigt.
Wenn ich in alten Akten blättere, finde ich aus dem Jahr 2005 eine Einladung von Frau von Welck ins Berliner Schillertheater. Die Landesvertretung Hamburg in Berlin und die Kulturbehörde haben damals mit Unterstützung der Rusch-Stiftung „ihre
Hamburger Künstlerin“ Gilla Cremer zu einer Hommage für die Berlinerin Hildegard Knef mit anschließendem Senatsempfang eingeladen – und alle Gäste, ob geladen oder nicht, waren begeistert!
Spätestens damals sind Sie also schon zu einer Botschafterin der Stadt Hamburg geworden.
Und wenn man bedenkt, wie viele Gastspiele Sie in den letzten 30 Jahren gegeben haben – allein „Odyssee Embryonale“ haben Sie 250 Mal im deutschsprachigen Raum gezeigt – dann kann man sich ausrechnen, wie viele Menschen durch Ihre bewegenden Theaterstücke auch ein „Stück“ Hamburg kennengelernt haben.
In ihrem jüngsten Stück #Freundschaft“ sagen Sie, dass man Freunde nicht besitzen kann, so wie Dinge. Dem stimme ich zu. Dinge sind etwas anderes als Freunde, eben Dinge. Aber, und dies spricht maßgeblich aus Ihrer Produktion „Die Dinge meiner Eltern“: Manche Dinge können sprechen. Sie wecken Erinnerungen und halten Momente wach. Mit manchen Dingen drückt man sehr viel aus.
So gibt es ein „Ding“ der Stadt Hamburg, mit dem man ausdrückt, dass eine Person, sich um die Stadt verdient gemacht hat. Dieses „Ding“ ist ein Zeichen der sehr großen Wertschätzung des künstlerischen und kulturellen Schaffens einer bestimmten Person. Ein Zeichen des Dankes. Und nein, ich meine keinen Salatkopf.
Liebe Frau Cremer,
ich möchte Sie nun gern zu mir auf die Bühne bitten.
Ich habe die Ehre, Ihnen mit großem Dank und den allerbesten Wünschen für Ihre Zukunft – die zweite Halbzeit – heute die „Biermann-Ratjen-Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg“ verleihen zu dürfen.
Wir hoffen auf weitere 30 Jahre mit vielen mutigen und feinfühligen Produktionen von Ihnen. Das haben Sie uns jetzt ja mit dem Slogan „Halbzeit“ versprochen. Ich wünsche mir, dass unser Applaus Ihnen dafür den entsprechenden Rückenwind gibt.
Herzlichen Glückwunsch!